Il Gusto Barocco nähert sich Johann Sebastian Bachs Suiten und Konzerten aus einer gegenwärtigen und zugleich historisch-informierten Perspektive. Auf ihrem neuen Album „Suite & Concertos“ werfen Jörg Halubek und die Alte-Musik-Spezialisten von Il Gusto Barocco einen Blick auf Bachs Aktivitäten im Zimmermannschen Kaffeehaus in Leipzig. Sie rekonstruieren kein konkretes Programm, sondern testen, wie sich der Geist der musikalischen Zusammenkünfte im Kreis von Familie, Verwandten und Schülern in unsere heutige Zeit überführen lässt. „Wir möchten ein moderneres Bild auf Bach werfen, den man heute vor allem als strengen Kirchenkomponisten erlebt. Uns geht es um die dem Menschen zugewandte, kommunikative Seite“, sagt der Ensembleleiter und Cembalist Jörg Halubek.
Das Cello, das in der Barockmusik langsam aus seinem Generalbass-Schatten heraustritt, führt mit Bachs dritten Cellosuite durch das Programm. Die Solo-Konzerte, die zwischen den Suitesätzen eingefügt sind, erweitern den Einzelfokus auf die Gruppe. Die in der Konzertpraxis oft vorgelebte Unantastbarkeit eines so geschätzten Werks wird zugunsten einer historisch-informierten und zugleich modernen Musizierhaltung infrage gestellt. Denn zu Zeiten Bachs, so ist es überliefert, wurden Instrumentalwerke keineswegs immer im Ganzen aufgeführt. Auch die Reihe der kommenden Alben, die im vergangenen Jahr mit der Einspielung der Brandenburgischen Konzerte begann, sollen einen musikalischen Moderator enthalten. Es gehe darum, die solistischen Qualitäten der einzelnen Musiker und Musikerinnen herauszustellen, die sich im Ensemble zwar zu einem Ganzen fügen, aber doch ihre Individualität behalten. In den für diese Aufnahme gewählten Konzerten erfüllt das Orchester nicht nur Begleitfunktionen. „Ein solches Musikverständnis passt zu der Art, wie wir proben und spielen“, gibt Jörg Halubek Einblicke in die Ensemblearbeit. „Die Interpretationen entstehen bei uns über das gegenseitige Zuhören.“ Das zeigt etwa der langsame Satz des Violinkonzerts, in dem die Bratschenstimme das musikalische Dirigat übernimmt.
Das förderte für die sehr bunt zusammengestellten Solo- und Doppelkonzerte ganz unterschiedliche Erkenntnisse zutage. Dabei bilden Know-how und ein gründliches Quellenstudium die Basis für einen Freiheiten auslotenden Erarbeitungsprozess, an dessen Ende nie die eine, richtige Lösung steht. Der Notentext ist bloß der Ausgangspunkt. „Wir wissen für Bachs Musik, dass das Aufgeschriebene nur die Vorlage war. Besonders in den langsamen Sätzen hat sich der Solist durch die Auszierungen hervorgetan“, erzählt Jörg Halubek. „Es gab den konkreten Vorwurf, dass Bach den Interpreten keinen Platz für ihre eigenen Ornamente ließ, weil er selbst schon so viel aufgeschrieben hat.“ Heute nimmt er den Notentext anders wahr. „Bach schreibt maximal forte und piano, ab und zu einen Bogen, sonst nichts. Es gibt keine Angaben zu Phrasierungen. Das bedeutet aber nicht, dass es diese Ausdrucksmöglichkeiten, um die Bachs Zeitgenossen wussten, nicht gegeben hat. Wir müssen sie uns heute nur erst wieder erarbeiten.“
Am Ende wird deutlich, dass eine moderne und eine historisch-informierte Lesart keineswegs Gegenpole darstellen. Im Gegenteil: Heute wie zu Bachs Zeiten ist das Notenblatt bloß der Ausgangspunkt, die Musik wird erst mit ihrer Aufführung real. Um zu neuen Auffassungen zu gelangen, braucht es den Mut zum zunächst ergebnisoffenen Experiment, bei dem die Musik immer wieder neu befragt wird und deren Versuchsergebnisse durchaus von den Hörgewohnheiten abweichen können. „Es gibt in der historisch-informierten Aufführungspraxis viele Bereiche, die noch nicht angegangen worden sind. Einige Möglichkeiten, die die Quellen anbieten, sind noch nicht eingespielt. Ich verstehe es als unsere Aufgabe, Neues vorzulegen“